Es gibt viele pferdegestützte Übungen, die im Coaching eingesetzt werden können. Aus Sicht eines Pferdemenschen scheinen diese vielleicht kinderleicht zu sein. Doch
deren Wirkung kann umso vielfältiger sein. Daher muss sich jeder Coach, der mit Pferden arbeitet, immer wieder kritisch fragen: Was wirkt im Coaching eigentlich? Worauf muss
ich achten, um für meine Kunden ein erfolgreiches Angebot bieten zu können? Und welche Übungen machen im pferdegestützten Coaching Sinn? Mache A und es geschieht B funktioniert in der Arbeit mit
Menschen und Pferden nicht.
Das Bedürfnis nach Sicherheit
In den Berater*innen Ausbildungen und Workshops, die ich bereits gehalten habe, wird mir eins immer deutlich: Die Teilnehmer*innen möchten am liebsten ganz viele Methoden lernen. Konkrete
Techniken, die das Leben als Coach vermeintlich vereinfachen. Tools, Fragebögen und Anleitungen, die einfach sind. Sie vermitteln dem Coach und damit auch dem Coachee eine
Art Sicherheit im komplexen Coachingprozess.
Nicht umsonst gibt es ganze Bücher, die als Nachschlagewerk eine Coaching Technik nach der anderen aufgelistet haben. Diese sind wichtig, wenn ich eine neue Inspiration brauche oder bewusst eine
neue Übung bei einem neuen Fall ausprobieren möchte. Doch die Kenntnis aller Methoden dieser Welt, reicht für ein wirkungsvolles Coaching nicht aus!
Coaching ist mehr als Technik
Die Kunst wirkungsvollen Coachings kann ein Coach nicht als bloße Technik erlernen. Es reicht nicht aus zu wissen wie bestimmten pferdegestützte Übungen funktionieren. Es reicht nicht aus diese geschickt anleiten zu können. Es reicht nicht aus einem starren Fahrplan für die Coachingsitzung zu folgen.
Denn es kommt darüber hinaus an auf
- das Timing
- das Gespür für den richtigen Zeitpunkt
- die Intuition bei der Auswahl der passenden Methode
- die Empathie mit dem Coachee
- die Flexibilität im Prozess
- die treffsichere Reflexion
- der passgenaue Transfer auf das Problem des Coachees.
Wie Sie den Erfolg nicht dem Zufall überlassen
Es braucht also emotionale Kompetenz und die Fähigkeit zur Synchronisation (mehr über das Prinzip der Synchronisation gibt es hier zu lesen). Lernen wir nur die Methoden und
Techniken auswendig, können wir das Coaching nicht individuell an das Anliegen, den Prozess und die Lösungsfindung des Coachees anpassen. Der Erfolg bleibt damit mehr oder weniger dem Zufall
überlassen. Außerdem kann eine Übung ganz unterschiedliche Anliegen bedienen und somit Wirkungen entfalten.
Drei Praxisbeispiele
Hier sind drei Beispiele aus meiner Praxis, die zeigen wie eine grundlegende pferdegestützte Übung jeweils ganz Unterschiedliches bewirken kann.
Die Übung
Eine bekannte pferdegestützte Übung besteht darin, dass der Coachee gemeinsam mit dem Pferd am Strick einen Hindernisparcours bewältigen soll. Die Hindernisse können dabei durch den
Coach oder den Coachee ausgewählt sein und unterschiedliche Schwierigkeitsgrade aufweisen (für eines meiner Coachingpferde ist es z.B. schier unmöglich über eine am Boden liegende Stange zu
laufen).
Was ist der Zweck dieser Übung? Es geht nicht um Bodenarbeit oder darum zu lernen wie man ein Pferd führt! Es geht darum durch die Reflexion der Übung mit dem Coachee dessen typischen
Mustern, Blockaden, Emotionen, unbewussten Bedürfnissen, etc. auf die Spur zu kommen. Es geht nur um die wachsende Selbstkenntnis des Coachees. Unsere Pferde helfen uns dabei, denn sie
zeigen durch ihre Reaktion welche Körpersprache und emotionale Befindlichkeit der Coachee mitbringt. Und schon eine kleine pferdegestützte Übung kann vielfältige Impulse bieten und
Wirkungen erzielen.
Beispiel 1: Klare Führung
Die Parcours Übung kann ganz klassisch für Anliegen im Bereich Führung genutzt werden. Schließlich führt der Coachee das Pferd über Hindernisse. Durch die Beobachtung der Körpersprache
des Coachees können Hypothesen über dessen Führungsstil abgeleitet werden. Z. B. macht es einen Unterschied, ob der Führstrick sehr straff, sehr dicht am Halfter oder locker
durchhängend gehalten wird. Die Körperhaltung und Schrittlänge des Coachees verrät Einiges über den Stresslevel. Auch wenn das Pferd vor einem Hindernis stehen bleibt, kann sich das Muster des
Coachees im Umgang mit Konflikten oder Problemen zeigen. Diese Impulse werden gemeinsam diskutiert und relevante Punkte auf den Führungsalltag transferiert.
Beispiel 2: Mehr Selbstbewusstsein
Da der Coachee diese Übung unweigerlich mit seinen intuitiven Mustern durchläuft, kann sie auch für weitere Anliegen hilfreich sein, die das Selbstbewusstsein betreffen. So hatte ich z.
B. einen Coachee, der bereits beim ersten Durchgang den Parcours nahezu ohne Probleme meisterte. Nur die aller letzte Stange vor dem Ziel wurde nicht ohne kurze Pause bewältigt (kleine
Erinnerung: das ist zunächst immer ein Problem für mein Pferd). Für mich also keine Überraschung. Der Coachee schätzte seine Leistung jedoch mit der Schulnote 4 ein. Ich hätte es eher mit einer
1,5 getan. Die folgende Videoanalyse zeigte den Gap zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung nochmals deutlich auf. Die Erkenntnis über die negativ verzerrte Selbsteinschätzung war ein wichtiger
Schlüssel zu mehr Selbstvertrauen.
Beispiel 3: Teamspirit
Wird diese Übung bei einem pferdegestützten Teamworkshops eingesetzt, beobachten sich die Teilnehmer gegenseitig bei immer der gleichen Übung. Die Aufgabe ist für alle die gleiche, doch jeder
setzt sie anders um. Somit wird die Unterschiedlichkeit im Team gefördert und das gegenseitige Verständnis im Team geschärft. Denn jeder tickt anders!
Die Lösung: Vom Ziel her denken
In einer vermeintlich leichten Übung kann also eine ganze Menge an Themen stecken, die es gilt bewusst zu berücksichtigen. Wie wählt der Coach nun im Prozess die passende Übung aus? Indem er
zunächst das Anliegen und das Ziel des Coachees gründlich klärt. Denn das ist die Grundlage für die Methodenwahl. Das Ziel gibt auch die Perspektive der anschließenden Interpretation
vor. Wie eben gezeigt wurde, kann ein und dieselbe Übung auf mindestens drei unterschiedliche Arten wirken. Die anschließenden Reflexionsfragen und der Transfer auf das praktische Problem des
Coachees sind daher die Garanten für Wirkung, nicht die Übung an sich.
Dr. Johanna Friesenhahn