Einheitliche Qualitätskriterien speziell für pferdegestütztes Coaching gibt es bislang nicht. Das wäre ein wichtiger nächster Schritt zur kontinuierlichen Professionalisierung.
Doch wird pferdegestütztes Coaching als ein spezielles Setting eines Coachings betrachtet, können durchaus die bekannten Qualitätsmerkmale von Coaching im Allgemeinen angewendet werden. Dazu wird in der Fachliteratur häufig von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gesprochen (vgl. Heß und Roth 2001). Übertragen wie diese speziell auf das Setting mit Pferden, kommt Einiges zusammen, das man als pferdegestützter Coach im Blick behalten sollte.
Denn ein qualitativ hochwertiges Coaching ist nicht nur die Basis für den langfristigen Erfolg als Coach, sondern auch für ein garantiert wirkungsvolles Coaching. Im Folgenden gebe ich einen
Überblick über die wichtigsten Aspekte.
So lassen sich die 3 wesentlichen Qualitätsdimensionen pferdegestützt umsetzen:
Strukturqualität
Die Strukturqualität umfasst:
- Aspekte des Coachs (z.B. Qualifikation, Ausbildung, Kompetenzen),
- des Coachees (z. B. Freiwilligkeit, Motivation, Problembewusstsein),
- der Beziehung (z. B. Offenheit, Vertrauen)sowie
- des Kontextes (z.B. des Unternehmens).
Der Coach sollte natürlich eine entsprechende fachliche Qualifikation mitbringen, die in einer fundierten Ausbildung erworben wurde. Nun ist der Ausbildungsmarkt in der Branche sehr heterogen und oftmals auf Basis von Erfahrungswissen aufgebaut. Wichtig wären auf jeden Fall eine ausgesprochene Methodenkompetenz, Selbstreflexion, soziale Kompetenz sowie kontinuierliche Supervision, Fortbildung und Teil eines Netzwerks zu sein. In dem tätigen Kontext sollte auch Feldkompetenz vorliegen. Spezifisches Fachwissen um Pferde kommt hier dazu.
Auch der Coachee sollte sich ins Coaching einbringen. V.a. die Bereitschaft sich zeitlich, kognitiv und emotional auf das Coaching einzulassen, also ein Problembewusstsein mitzubringen ist unerlässlich. Auch Freiwilligkeit und Veränderungsbereitschaft gehen hiermit einher.
Die Beziehung der beiden sollte durch Vertrauen, Akzeptanz, Empathie, Offenheit und Gleichwertigkeit geprägt sein. Leichter gesagt als getan, daher habe ich mit dem Modell der Synchronisation 5 Faktoren herausgearbeitet, die es uns ermöglichen eine gute Arbeitsbeziehung im Coaching zu realisieren.
Der Kontext des Coachings spielt insofern eine Rolle, dass es wichtig ist, dass Ergebnisse auch umgesetzt werden können (z. B. im Unternehmen) sowie der Coach zum Kontext und ich würde es erweitern – zur Zielgruppe – passt. Je nachdem welche Mission und Werte verfolgt werden, findet sich ein passender Coach für viele erdenkliche Zielgruppen.
Wobei mir im pferdegestützten Bereich immer wieder auffällt, dass die Bandbreite noch sehr klein ist, weil die Ausbildungen oft explizit oder implizit darauf abzielen, dass Führungskräfte gecoacht werden sollen. Warum eigentlich?
Speziell im pferdegestützten Coaching
Durch die Hinzunahme eines Pferdes wird die Beziehung zwischen Coach und Coachee beeinflusst. Aus der Dyade wird eine Triade, die der Coach in beide Richtungen reflektieren und halten können muss. Dazu gehört sowohl, die eigene Beziehung des Coachs zum eingesetzten Pferd zu reflektieren (hier gibt es einen extra Blog über Coaching mit dem eigenen Pferd) als auch sensibel auf die die Beziehung zum Coachee zu achten.
In meiner Doktorarbeit habe ich u.a. herausgefunden, dass die pferdegestützte Intervention auch ein Risiko für die Beziehung zwischen Coach und Coachee darstellen kann.
Es kommt z. B. sehr auf das Gefühl für das richtige Timing an, wann eine Übung, die nicht gelingt abgebrochen oder wie lange sie laufen gelassen wird. Hier stehen sich u.U. die
Frustrationstoleranz und das Hochkommen unbewusster Muster gegenüber. Dauern Übungen zu lange, schadet das der Vertrauenswürdigkeit der Beziehung.
Außerdem sind Coachees direkt nach einer pferdegestützten Intervention mitunter sehr emotional aufgewühlt. Hier liegt es am Coach diese Gefühle empathisch mitgehen und konstruktiv in Richtung
Coachingziel lenken zu können. Ansonsten entsteht schnell ein Gefühl von mangelndem Verständnis beim Coachee.
Prozessqualität
Hierunter fallen v.a. folgende Aspekte:
- Klärung des Anliegens (gründliche Zielklärung, Aufzeigen von Grenzen des Coachings)
- Transparenz des Vorgehens (z. B. Info zu Vorgehensweise, zur professionellen Orientierung des Coachs, formaler und psychologischer Vertrag, Infos über Dauer, Kosten, etc., passende Interventionsauswahl, flexible Vorgehensweise).
Im Coaching ist es im Sinne der Prozessqualität extrem wichtig für die Prozesssteuerung die Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehört ebenso Anliegen und Ziel zu klären, einen Situations- und Ressourcenanalyse durchzuführen sowie entsprechende Lösungsperspektiven zu erarbeiten. Das Coaching sollte einen klaren Gesprächsaufbau haben und einem roten Faden im Ablauf folgen.
Speziell im pferdegestützten Coaching
Auch pferdegestütztes Coaching enthält mehrere Prozessphasen.
Zu Beginn des Coachings sollte schon bei der Anliegensklärung der Sinn der pferdegestützten Intervention thematisiert werden. Im Rahmen der Zielklärung sollte erklärt werden, welchen Mehrwert Pferde im Coaching beitragen und der Coachee muss stets die Möglichkeit haben, diese Intervention abzulehnen.
In der Analysephase dient das Pferd dann v.a. dazu unbewusste Muster sichtbar zu machen. Dabei dient der Coach als Beobachter und Übersetzer.
Bei der Lösungserarbeitung kann emotional immer wieder auf das Erlebte zurückgegriffen werden. Jedoch ist hier der Transfer auf den Alltag ohne Pferd entscheidend. Dazu bedarf es der ständigen Prozessreflexion – gerade im Hinblick auf den Pferdeeinsatz.
Ergebnisqualität
Unter diesem Aspekt geht es vor allem darum, was das Coaching bewirken konnte. Folgende Fragen stehen im Fokus:
- Wurde das Ziel erreicht?
- Ist der Coachee zufrieden?
- Konnte eine emotionale Entlastung,
- eine Erweiterung und Flexibilisierung des Handlungsrepertoires sowie
- ein Umdenken (kognitive Umstrukturierung) erreicht werden?
- Welche weiteren Effekte können beschrieben werden?
Hier ist allerdings zu beachten, dass reine Fragebögen zur Evaluation (wie sie gern zur Qualitätssicherung eingesetzt werden) tendenziell positiv verzerrt sind. Im Coaching liegt die Verantwortung der Lösungserarbeitung auch beim Coachee (s. Strukturqualität). Er ist somit Konsument und Produzent in einem. Daher ist die Sicht auf das Ergebnis eher positiv verfälscht, denn ansonsten würde sich der Coachee indirekt eingestehen, nicht ausreichend motiviert mitgemacht zu haben.
Speziell im pferdegestützten Coaching
Speziell im pferdegestützten Coaching ist mir hier der Transfer des Gelernten auf den Alltag des Coachees sehr wichtig. Denn diesen Dreh hinzubekommen ist extrem wichtig und manchmal nicht allzu leicht. Doch es geht ja letztendlich darum, durch die Reaktionen des Pferdes auf unbewusste und typische Muster zu kommen, die dann im Sinne des Coachingziels reflektiert werden müssen.
Es geht also nie darum, ob der Coachee mit einem Pferd über Stangen spazieren konnte oder nicht, sondern wie er das geschafft hat (oder nicht), wie er sich dabei gefühlt hat, welche Glaubenssätze ihn dabei begleitet haben UND was das übertragen auf das Anliegen bedeutet.
Hierzu sind unbedingt eine Übersetzung und Unterstützung des Coachs notwendig. Eine pferdegestützte Intervention kann sogar bei unterschiedlichen Anliegen weiterhelfen (Beispiele gibt es hier).
Die grundsätzliche Frage lautet also immer: Was heißt das für dein Coachingziel und wie könnte eine praktische Lösung dafür aussehen?
Fallbeispiel
Ist eine Managerin im Coaching sehr ängstlich, schafft es aber sich dem Pferd zu nähern und es sogar mit beherztem Einsatz zu führen, deutet das auf Glaubenssätze und Muster hin. Sagen wir mal, man beobachtet hier den Antreiber „Sei stark!“. Dann wäre die Lösung des Coachings nicht zu sagen: „Schau mal, wie toll du das hier geschafft hast, du musst einfach bei der Arbeit genauso straff den Ton angeben.“ Natürlich sollte man das Erfolgserlebnis würdigen, um die Selbstwirksamkeit der Caochee zu fördern. Doch genauer betrachtet, kostete sie dieses Vorgehen unglaublich viel Kraft. Auf Dauer wäre/ ist dieser Führungsstil zu anstrengend und sie könnte sich so verausgaben, obwohl nach außen hin alles gut aussieht.
Diese Situation kann vielmehr als Anlass genommen werden (natürlich unter voller Transparenz und Einverständnis der Coachee) das Grundmuster anzuschauen und auf Tauglichkeit zu prüfen. Weiterführende Fragen wie: In welchem Kontext war dieses Muster mal hilfreich? Wer hat was von dieser Art zu führen? Wie würde sich Führung anfühlen, wenn sie sich den idealen Führungsalltag wünschen könnte? Was wäre dann anders? Etc. Mit der pferdegestützten Erfahrung kann man also viel tiefer arbeiten, als das im ersten Moment vielleicht offensichtlich zu sein scheint. Denn die Worte Führung und Kraft haben eigentlich nichts in einem Wort verloren.
Pferdespezifische Qualitätsmerkmale
Ethische Aspekte wie die Vermeidung der Ausbeutung der eingesetzten Tiere sind unbedingt zu achten.
Es ist bislang kaum erforscht wie sich der Einsatz von Pferden im Coaching auf das Tier auswirkt. Entsprechend ist mit einem kritischen Fachblick zu prüfen, ob das Pferd Stresssymptome zeigt, auf die Pausenzeiten der Pferde und den physischen wie psychischen Ausgleich zu achten.
Dazu ist eine artgerechte Haltung der Tiere unerlässlich, die deren Grundbedürfnisse beachtet. Hierzu gehören (vgl. Vernooij und Schneider 2008, S. 102 f.):
- regelmäßige tierärztliche Kontrolle (inkl. Impfungen etc.)
- Rückzugsmöglichkeiten für das Tier
- Entspannungspausen zwischen den Einsätzen
- Ausgleich (z. B. weitere Betätigungen wie Ausritte)
- Kontakt zu Artgenossen
- eine stabile Bezugsperson (da die Coachees häufig wechseln)
- regelmäßige Tagesabläufe
- freier Auslauf
Überlasse es nicht dem Zufall welche Wirkung Pferde im Coaching entfalten
In Anbetracht der skizzierten umfangreichen Kompetenzen eines pferdegestützt arbeitenden Coachs, reicht Pferdeerfahrung allein nicht aus, um professionell tiergestützt coachen zu können.
Es braucht viel mehr auch Coachingkompetenz, Feldkompetenz und die Bereitschaft zur kontinuierlichen Selbstreflexion und Weiterbildung.
Außerdem braucht es für die Professionalisierung der Branche einheitliche Qualitätsstandards, für die sich möglichst viele Anbieter verpflichten sowie fundierte Ausbildungswege.
Coaching mit Pferden ist zuallererst Coaching. Der Einsatz von Pferden macht es aus Beziehungs- und Prozesssteuerungssicht sogar erstmal schwieriger.
Daher bin ich der Überzeugung, dass ein qualitatives Coaching mit Pferden sehr wirkungsvoll sein kann, doch dafür muss ich verstanden haben, was dahintersteckt und wie es wirkt. Ansonsten habe
ich nur eine Technik auswendig gelernt, die ich nicht flexibel einsetzen kann. Somit überlasse ich die Wirkung dem Zufall. Das wäre doch zu schade, oder?
Dr. Johanna Friesenhahn